Irdenes

 

zum Tag der offenen Keramik-Werkstatt

Blechschmidt Ralf und Heike

Löbnitz- Bennewitz

 

von Christiane Neuhofer aus Lützkewitz 2016

 

 

Die irdene Kaffeetasse

 

Wenn an einer irdenen Tasse

Höhe, Breite, Schwere ---

stimmen

Duft und Wärme

drinnen

enthalten

bleiben

ist Kaffee trinken

ein köstliches

Zeitvertreiben

 

 

 Der Krug

 Aus feuchter Erde geformt

 heiß gebrannt

 und fest geworden

 wird er Wasser tragen

 bis er springt

 und seine Scherben

 wieder irden werden.

 

 

Scherben

 

Scherben bringen Glück

für die Erben

wenn sie wieder

zusammenfügen

was zersprang

 

tritt ein

in den Kreis

um das Entstehen

und das Vergehen

erfahre

Festigkeit

und Zerbrechlichkeit

erfahre

dich an einer Form

zu erfreuen

und trau dich

zerbrochene Dinge

 zurück

 auf die Erde

 zu streuen

 

 

 

Dein Leben

 

Stell dir vor

wie heiß es war

als die Erde

noch glühte

es in ihr

keine Wurzeln gab

noch gar nichts

kroch und blühte

Wasser Kälte

Wind und Beben

waren wie Hände

sie formten

 das Leben

 

das Leben selbst

ein Funke wohl

woher er kam

soll sein Geheimnis sein

doch in jedem Ton

in jedem Stein

in jedem Klumpen

feuchter Erde

 

ist es dein.

 

 

Form

 

Die Erde

entstand durch

Erkalten

ihrer Glut

ihre Gestalt

entstand

im Wellenspiel

der Flut

alles geht

durchs Feuer

durchs Wasser

um zu halten

 

Christiane Neuhofer 2016

 

 

 

Immer wieder:

Die Aufteilung der Welt

 

Die Gier der Weltmächte

schickt

eine arme Masse

in Not

lässt sie los

der Krieg

mehr als ein Gedanke

nimmt sie mit ins Boot

spuckt ihnen ins Brot

droht mit Ersaufen

greift nach unseren Herzen

beschäftigt unser Mitgefühl

Erpressung, Angriff auf

Meinungsfreiheit?

Reines Kalkül.

 

 

 

 

Ling ling ling

welch ein kleines Ding

 

kling kling kling

nur ein Ding

Säugling

Frischling

Pfifferling

Grünling

Engerling

Lehrling

Teigling

Rohling

Neuling

Mischling

Flüchtling

 

zum Behüten

zum Essen

zum Ekeln

zum Weiterbacken

zum Bevormunden

zum Abschieben

 

nur der Frühling

und das Darling

tanzen aus

der Reihe

 

© Christiane Neuhofer April 2016

 

 

 

 

 

Der Faden

 

Meinen ersten Faden

spann ich

knoten reich

ungleich

und grob.

Treten

hieß es

treten treten

das Spinnrad muss sich drehen

es darf nicht stehen!

 

Vom Fließ zum Faden

vom Schaf zum Fließ

von der Weide zum Schaf

zum Lamm

zum Opferlamm

Lamm Gottes.

 

©  Christiane Neuhofer September 2015

 

 

Mein Weg nach Kitzen führte über die Spinnstube im Kulturhaus.

Hier setzte mich Frau Claudia Lange an ein Spinnrad. Es war das erste Mal in meinem Leben.

Ich sollte:

Treten, Treten, das Rad im Schwung halten,

- es muss sich rechts herum drehen -,

den Faden führen, die Wolle aus dem Fließ zupfen ...

Die Spule überschlug sich, das Schwungrad drehte nach links, der Faden verzwirnte sich,

und immer wieder riss er ab.Voller Geduld half mir Frau Lange beim erneuten Einfädeln.

Bis sich endlich etwas auf meine Spule wickelte.

Dieser Faden wurde kein fester, kein feiner, wie bei den geübten Frauen,

die eins mit ihrem Spinnrad, lustig schwatzend um mich herum saßen.

Doch als ich ihn mir ansah, mit seinen Noppen und den ungleichen Stellen,

da berührte er etwas in meinem Inneren.

Unwillkürlich dachte ich an den Faden der Ariadne, diesen Wegweiser aus dem Labyrinth des Minotaurus.

Oder sah vielleicht so die Spindel aus, die mir eine Fee in Schleiz in die Wiege legte?

In Schleifen, und oft auch an Abgründen vorbei,

führte mich mein Weg aus Thüringen nach Süddeutschland in den Hegau,

in die Schweiz nach Basel, nach Berlin und wieder zurück nach Süddeutschland,

dann nach Frankreich ins Burgund und letztes Jahr noch einmal zurück,

in die Elsteraue, in die Mitte Deutschlands, wo ich versuche ein Gehöft zu restaurieren.

Wenn ich im Burgund bin, kann ich mich nicht satt sehen an den mittelalterlichen Bildgeschichten

der 1000-jährigen Kirchen, wie sie über den Portalen und an den Säulenkapitellen prangen.

Diese Schlingenmuster im Stein, dieses Heraustreten der künstlerischen Plastiken aus ihrem Ursprung,

an dem sie doch haften und in Verbindung bleiben, ist für mich heute ein Zeichen der Zugehörigkeit.

Als ich den bescheidenen Rest dieser steinernen Zierde an den Kapitellen

der beiden Säulen am Südportal der Sankt Nikolai Kreuzkirche sah, blieb ich wie gebannt stehen.

Etwas rührte an meinem Lebensfaden.

Mir war, als wenn er sich jetzt bewusst nach links wendete.

In der Technik des Spinnens muss sich das Schwungrad nach links drehen,

wenn eine zweite Spule eingesetzt wird, um zwei Fäden zu einem neuen, stärkeren zu verzwirnen.

Tatsächlich leben meine Kinder und Enkel aus den unterschiedlichsten Gründen in Leipzig.

Ich bin neugierig, welcher Stoff aus diesen Fäden entsteht.

 

 

Südportal der St. Nikolai Kreuzkirche in Kitzen

 

Zwei Säulen mit  Kapitellen

am Südportal

verschlungene Zierde

aus romanischer Zeit

sprechender Stein

erinnert an

Zisterzienserinnen

an ihr Klosterleben

an ihre Arbeit

an ihr Beten

an Bernhard von Clairveaux

Cluny und Citeau,

verbunden mit der Regel:

davon zu leben

was man selbst erzeugt

und dafür

Gott zu dienen

und zu danken.

 

Ob evangelisch oder katholisch

in einer anderen

oder keiner

kirchlichen Gemeinschaft

die Kirche Sankt Nikolai

gibt Kunde

von einer anderen Zeit

es beflügelt jene

die sie erhalten

wieder aufbauen

weiter verwalten

 

Gott segne diese Runde.

 

Und wer Lust hat

mehr zu erfahren

schaue nach bei

den drei großen Mystikerinnen

den klugen, schreibenden, dichtenden

und in der Heilkunst so

bewanderten Frauen aus Mitteldeutschland

und fahre weiter nach Eisleben

ins Zisterzienserinnenkloster Helfta

Dort werden sie noch heute verehrt:

die Mechthild von Magdeburg (1207-1281)

die Mechthild von Hakeborn (1241-1299) und

die Gertrud von Helfta (1256-1302)

 

©Christiane Neuhofer September 2015